Worte zum Vergessen

 
 

Überdenke meine Worte nicht.

Seien es diese Worte hier, seien es die Verben der Integraldynamik, alle Worte. Du wirst sie nur verändern. Sie formen, damit sie dir passen. Das ist der gängige Ablauf. Machen wir alle so. So werden Worte zu Modewörtern, die man ein wenig trägt, mit denen man sich kleidet. Man beschäftigt sich ein wenig damit. Sie kommen und gehen. Darum versuche nicht, sie zu verstehen. Beschäftige dich nicht damit. Sie sind Fähren. Fährten. Gefährte. Gefährten.

Lebendiges

Sei zentriert, offen, wachsam. Bezeuge. Lass die Worte in die Stille sinken. Und lass die Stille dich und dein Handeln formen. Sei diese verkörperte Stille, die reine Energie, wenn die Worthülsen weggefallen sind und etwas Lebendiges daraus wächst.

Denn es ist nicht im Nachdenken, in welcher die Klarheit des Verstandes sich entfaltet, sondern in der Stille.

«Überziehe die Dinge nicht mit dem Zuckerguss des Scharfen Denkens»

Es geht nicht um dich. Du musst nicht Eindruck schinden, nicht im Geringsten, nicht einmal dir selbst, denn du bist Ausdruck. Ausdruck von dem, was sich in der Stille des Denkens entfaltet. Ein «Denken» verwurzelt in den Erfahrungstiefen der Sinne und des Herzens, nicht in übernommenen Mustern, in Annahmen, Voreingenommenheit, Wahrscheinlichkeiten.

Benennen und vergessen

Wir können nicht wirklich sagen: Sie formt dich, die Stille. Das ist oberflächlich. Das ist zu einfach. «Ausdruck sein» ebenso. Wir sollten sie nicht einmal Stille nennen, denn sofort ist sie «etwas», «etwas anderes». Darum nennen wir sie jetzt gerade so, um die Worte nachher zu vergessen. Das muss ein ungetrennter Prozess sein.
Sie ist du ohne du. Ohne die Trennung, die dir das Gefühl gibt – bestimmt unbestimmt – du seist getrennt. Ohne die Trennung, die du «Ich» und «ich bin» nennst. Sie ist verkörpertes, kultivierendes, ko-kreierendes Ausformen eines immer währenden Dialogs.

Sie ist eins und alles und alles dazwischen. Raum und Bewegung geschehen in ihr und sind sie. Du kommst und gehst in ihr, ohne zu erscheinen und zu verschwinden. Ohne dass sie dich bewegt. Deshalb ahnst du (mehr oder weniger deutlich und drängend), dass es einen «ewigen Aspekt in dir» gibt. Einen «unwandelbaren Teil». Er ist nicht in dir. Deine gesamte Existenz ist durch die Nicht-Trennung ewig.

Sie. Wer ist «sie»?

Zustand und Gestalt

Das ist kein Konzept, keine Philosophie und keine Metaphysik. Es kommt direkt aus der Nicht-Getrenntheit. Es ist eine schlichte Erfahrung. Und es kann sich vom psychischen Zustand in eine neue physische Gestalt des Wahrnehmens, Interpretierens und Handelns wandeln. Wenn es keine Mode ist, die man an- und ablegt. Sondern eine Praxis. Es gibt viel zu lassen, um dies zu erfahren und zu sein. Diese Worte, wie gesagt. Es gibt viel zuzulassen. Die Stille, die alles ist, auch die Bewegung. Lassen und zulassen nennen wir Praxis. Jedes meiner Worte führt hin zur Praxis. Und alle meine Worte, alle meine Bücher, machen nur Sinn, wenn man sie mit einem Feeling, das durch Praxis erfahren wurde, verbinden kann, oder wenn sie ein Feeling verstärken, das einem in die Praxis hinein bewegt. Ein selbstverstärkender Zyklus.

Es gibt viele Wege zu dieser Stille, weil es keinen Weg dahin braucht. Der gemeinsame Weg ist der sicherste. Gefährten. Denn niemand trägt dich. Weil ihr nicht getrennt seid.

«Wissenschaft offenbart das Wissen der Natur»

Wie soll man das verstehen. Man kann sich nur davon berühren lassen. Nicht von den Worten. Vom Unsagbaren. Von dem, was dort ist, wohin diese Worte zeigen, aber selbst nicht hinreichen.

Man kann nur handeln. Sich bewegen. Im Verstand ist der Stand drin. Das Unbewegte. Es ist ein Weg.

Und was ist der Weg? Nimm deinen Körper wahr. Und dann, nimm mit dem Körper wahr. Fähre. Fährte. Gefährt. Gefährte. Es ist einfach. Es ist komplex. Aber nicht kompliziert.

Natur Weiß

Ich sage nicht: denke nicht. Ich sage, überdenke nicht. Überziehe die Dinge nicht mit dem Zuckerguss deines Denkens. Ja, denn selbst wenn Denken scharf ist, ist es meist süß. Sich selbst gefällig. Der denkende Verstand will Sicherheit. Er ist selbst-bestätigend. Auch wenn er das nicht zugibt. Zu sehr ist er mit dem sich selbst erhaltenden Konstrukt des «Ich» oder «Ego» verbandelt, als dass er sich im Namen der Wahrheit aufgeben würde. Es wäre seine Auslöschung. Denke richtig. Denken ist nicht sein («Ich denke, also bin ich»). Richtiges Denken ist Enaktion. Interaktives und kokreierendes Handeln.

Denke nicht über etwas nach, sondern handle dialogisch. Entdeckungsreisen geschehen nicht denkend, sondern handelnd. Körperlich. Physisch. Natürlich. Die Natur sagt, was wahr ist, jenseits von wahrscheinlich und unwahrscheinlich, nicht der Verstand. Das ist das Prinzip der Wissenschaft. Darum beobachtet man, macht Experimente. Weil nicht wir wissen, sondern die Natur. Wissenschaft offenbart das Wissen der Natur, indem sie intelligente Fragen stellt und diese in Handlungen übersetzt, auf welche die Natur antworten kann. Und die Natur weiß noch so viel mehr, während wir noch nicht einmal die Ahnung haben, wie wir danach fragen sollen… Intelligent fragen und in Handeln übersetzen, damit eine Antwort gegeben werden kann: genau das machen wir mit integraler Bewegung und RIVERS. Doch die Antwort, die uns gegeben wird, ist, wie wir gleich sehen werden, viel mehr als das Wissen des denkenden Verstandes. Fragen wir mit dem Verstand, gibt die Natur uns eine Verstandes-Antwort. Sie geht auf uns ein, wie umsichtige Eltern auf ein Kind. Fragen wir mit dem ganzen Sein, gibt sie uns eine ganz andere Antwort.

Wissenschaft und Erkenntnisweg

RIVERS ist eine Wissenschaft. Grundlage sind die grundlegenden Beobachtungen der Integraldynamik und die daraus formulierten Thesen und Hypothesen der integralen Bewegung. (Wir können auch Antithesen aus Traditionen, der Fitness- oder Mindfulness-Industrie, der Wissenschaft oder pluralistischen Formen zeitgenößischer Spiritualität hinzunehmen.) RIVERS ist die Versuchsanordnung, ein Set von Experimenten zur Erkenntnisgewinnung, und Experimente sind immer auch physisch. Dabei geht es nicht um etwas, sondern um dich. Darum können wir die Experimente immer und immer wieder machen. Denn da du eine wesentliche Zutat bist und jedes Mal anders bist, ist es jedes Mal ein Experiment mit einer anderen Zutat. Tag für Tag, Woche für Woche. Jahrzehnt für Jahrzehnt. Ein Infinity Game. Wieder: das ist Praxis.

Und weil integrale Bewegung und RIVERS Infinity Games sind, die uns selber zutiefst involvieren, können wir das Wort «Wissenschaft» nah am Wasser in den Sand schreiben. Wir relativieren das Gesagte nicht, sondern differenzieren weiter: Denn das Vorgehen von RIVERS ist wissenschaftlich. Was dabei herauskommt, ist, weil es uns untrennbar involviert, nicht Wissen, sondern Weisheit. Wissen ist statisch. Weisheit ist fließend. Denken führt zu Standpunkten. Wir können Wissen nicht verkörpern. Man kann noch so viel wissen über eine gute physiologische Struktur, das ändert nichts an der eigenen Struktur. Die Änderung kommt durch das klare Handeln, durch richtige Bewegung. Weisheit kommt nicht als Kalenderspruch, sondern ist immer verkörpert als ein ewiger Fluss. Weisheit ist eine transformative Kraft. Sie ist Bewegung, ist Handeln, ist Aktion, und sie ist das, was uns bewegt, was der Bewegung wahre Kraft verleiht. Sie wirkt stabil und agil, fördernd und integrierend.
«Die Weisheit bewegt sich leichter als die Bewegung selbst», heißt es im Buch der Weisheit. Weisheit ist also auch da Bewegung. Die Weisheit, die sich im Infinity Game integraler Bewegung und von RIVERS entfaltet, ist jedoch, anders als es dieses Zitat und sein Kontext nahelegt, keine metaphysische Kraft, keine Meta-Bewegung. Sie ist der Prozess selbst, sie ist die Bewegung selbst. In unserem Kontext können wir also sagen: «Die Weisheit ist die Fluidität in der Bewegung.» Und etwas differenzierter: Stabilität, Klarheit, Adaptabilität, Fluidität und Kreativität in Bewegung. (Attribute, welche wir auch in besagtem Buch der Weisheit finden). Integrale Bewegung und RIVERS fördern diese Qualitäten. Sie sind Entfaltung und Ausdruck zugleich.
Die fünf Attribute können wir zusammenfassen als Leichtigkeit. Womit wir wieder nah beim Zitat sind. Der kleine große Unterschied ist, ob sie sich leichter als Bewegung bewegt oder unablässig werdende, von innen her gestaltende Kraft ist, die ohne zu erzwingen ( = leicht) Bewegung und Interaktion auf allen Ebenen gestaltet. (Woher, mag der denkende Verstand fragen. Woher wird sie, gestaltet sie? Was ist der Ursprung des Innen? Also doch eine metaphysische Dimension? Lieber Verstand, integrale Bewegung verneint Metaphysik nicht, sondern differenziert und integriert sie. In einem körperlichen Akt. Das verstehst du nicht. Auch wenn wir noch ewig weiterreden. Siehst du nicht, dass die Lesenden genug haben?)
Lass also die Natur uns sagen, ob wir richtig denken oder uns etwas ausdenken, das nicht Hand und Fuß hat. Der Sinn entfaltet sich in der sinnlichen, verkörperten Aktion. Natürlich!

Jenseits des Erdenklichen

Denke darunter. Denke tief. Denke darin. Aus den Worten heraus. Lass ihre Wurzeln denken. Lass sie handeln. Denke nicht isoliert, denke im Dialog mit Bewegung, mit der Natur. Denke physisch, mit dem ganzen Körper. Denke nicht in deinen gewohnten Räumen und Mustern, sonst ist das Resultat das Gewohnte. Denke nicht in Konzepten, sondern interpretiere fluid: weise. Werde zum/zur Raum-Reisenden, Skywalker! Nimm die Worte als Gefährten und Gefährte in neue, tiefere, umfassendere Räume jenseits des Erdenklichen, weil es nur geboren und verkörpert werden kann. Wo Bewegung viel Raum hat. Die physische, psychische, die Bewegung des Denkens, jede Bewegung. Wo «du» verschwindest, um fortan unaufhörlich geboren zu werden.

Das ist der Infinitionsprozess integraler Bewegung (Integraldynamik S.59-60, 510-11, 556-58, 626-29; Buch der Bewegung S.272-73, Reise zum Unmöglichen S.278-79, Rhythmen integraler Bewegung S. 50).

 

 
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