Die höchste Integrationsstufe

 
 

Körper & Geist strukturieren

Die Verben der Integraldynamik und ihre Beziehungen sind Kräfte, die unseren Körper und unseren Geist strukturieren können. Mit Körper meine ich die tatsächliche Körperstruktur, ich meine aber auch die Struktur körperlicher Wahrnehmung (Propriozeption, Interozeption, Empfindungszentren, wobei letztere bereits auch im subtilen Bereich wirken. Siehe Reise zum Unmöglichen S. 201-305). Mit Geist meine ich «mind», das, was unsere Wahrnehmung strukturiert. Dazu gehört auch der Ego- oder Ich-Teil der Psyche. Mit der Aussage, dass diese strukturgestaltenden Kräfte strukturieren «können» meine ich, dass sie es nicht einfach von selbst tun. Sie müssen eingeladen werden, ansonsten sind bei vielen Menschen Verben am Werk, die nicht in die Verbenfamilien (dazu siehe Die Rhythmen integraler Bewegung S. 39-41, Integraldynamik S. 49-52) gehören: verschließen, festhalten, einschießen, hadern, grübeln, konzeptualisieren, abstrahieren, um nur ein paar wenige zu nennen. 
Es schadet auch gar nichts, einen weiteren Aspekt des Menschseins als Möglichkeit im offenen Gewahrsein zu halten, einen, der keiner (Re)Strukturierung bedarf. Dieser Aspekt müsste demzufolge sich nicht entwickeln (womit wachsen können aber nicht ausgeschlossen ist), womit auch keine dissoziierenden Entwicklungen möglich wären. Dieser Aspekt wäre demnach auch nicht direkt in die Zeit eingebunden und eher in jenem (immer noch nicht metaphysischen) Bereich angesiedelt, dem Zeit, Raum und Bewusstsein entspringen. Man nennt diesen Aspekt in einem metaphysischen Kontext etwa Seele. Vielleicht ist er aber auch die Gesamtbewegung an sich, oder die Fülle des Raumes an sich. Wie gesagt, sich Möglichkeiten offen zu halten ist förderlich. Dies nur als Randbemerkung. 

Die Integraldynamik und in ihrer Konkretisierung integrale Bewegung und RIVERS sieht diese zwei zu strukturierenden Bereiche, die wir einfachheitshalber Körper und Geist nennen, als nicht getrennt. Daher ist ihre Kultivation auch nicht getrennt. Für beide Bereiche gibt es eine Unzahl an Optimierungs-Angeboten. Die Erfahrung vieler ist jedoch, dass der eine Bereich nicht ohne den anderen kultiviert werden kann um wirklich nachhaltig zu wirken, auch wenn die Optimierungs-Angebote dies in der Regel nicht beachten. Das einfachste Beispiel ist im körperlichen Bereich eine Diät, die den Jojo-Effekt erzielt. Im geistigen Bereich ist das absurdeste Beispiel «Die Strategien der großen Kampfkunst-Meister für Manager» und Ähnliches. Den «mind» isoliert zu behandeln, ist eine logische Konsequenz aus dem Körper-Geist-Dualismus, den der Westen seit 2500 Jahren zelebriert. Der Buddhismus und auch der Yoga hingegen, Jahrtausende alte Systeme, an deren Differenzierung kein westliches System auch im Geringsten herankommt, waren immer Praktiken, die den Körper integrieren. 

Auch hier: Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist in diesem Kontext vielleicht nicht das beste Geschäftsmodell, denn eine Therapeutin, die nachhaltig wirkt, hat weniger Klient*innen, die immer wiederkehren, weil sie in keiner Abhängigkeit sind. Magazine, die Fitness-Programme und Diäten propagieren, müssen darauf zählen, dass ihre Leser*innen in vier Wochen das nächste Programm und die nächste Diät ausprobieren wollen. Und. So. Weiter…

 

Die Einheit ist die Wirklichkeit

 

Jede nachhaltige Veränderung im Geist muss eine Veränderung im Handeln zur Folge haben, und damit neurologisch und physiologisch im handelnden Körper. Jede nachhaltige Veränderung im Körper hat unweigerlich eine Veränderung in der Wirkkraft des Menschen, in der Wahrnehmung und im Geist zur Folge. 
Sind die Veränderungen nicht nachhaltig, etwa weil sie ohne weitere Konsequenz von außen induziert wurden, wirken sie jeweils nicht in den anderen Bereich hinein. Sie sind dahingehend nicht verwirklicht, und damit nicht real, insofern dass erst die Einheit der beiden «Bereiche» (nochmals: eigentlich ein differenzierbares Ungetrenntes) die Wirklichkeit ist. Verkörperung ist die höchste Integrationsstufe. Ich komme darauf zurück. Zuerst zum Schlüssel.

Bergen

Empfinden heißt schöpfen. Schöpfen heißt sowohl herausheben, bergen, als auch erschaffen. Die Schöpfung. Dabei ist auch das Erschaffene geborgen, also aus der Tiefe gehoben. Es ist aber auch geborgen im Sinn von eingebettet, da im eben beschriebenen Prozess nie eine Trennung stattfindet. (Mehr zu «bergen» in Reise zum Unmöglichen, 270-71)

Wir sind also schöpferisch tätig, wenn wir empfinden. Implizites kann sich entfalten und explizite, konkrete Realität werden. Dinge können sich zeigen, können sein, können Gestalt annehmen. Ein einziger Gesamtprozess. Einfach, komplex, ungeteilt. 

Ankommen

Das Erforschen in integraler Bewegung und durch RIVERS ist in erster Linie ein empfindendes, schöpferisches. Nicht der destruktive Mythos des ewigen Fortschritts wird genährt. Es entsteht eine alte neue positive Geschichte, der Mythos des Ankommens. Dieser Mythos muss nun in der vom westlichen destruktiven Mythos durchdrungenen Welt ankommen. Nicht durch eilen kommen wir an, sondern durch verweilen.

Empfinden ist eine Form von Information

Empfinden heißt verkörpern. Der Körper ist das Empfindungsorgan. Ohne Körper können wir nicht empfinden. So sind Schöpfung und Körper unteilbar miteinander verbunden. Kreieren heißt immer manifestieren. Es entsteht also kein Widerspruch zum westlichen Gestaltungsdrang, wenn wir den kulturellen Akzent auf das Verkörpern verlagern würden. 

Gesamtbewegung

Wie soll das geschehen, den kulturellen Schwerpunkt verlagern? Stell dir vor, alle Menschen in den westlichen Kulturen würden plötzlich auf ihren Körper hören, statt ihn ausbrennen zu lassen oder mit Stimulanzien oder gar Drogen aufzuputschen. Die ganze Kultur würde sich radikal ändern. Eine Utopie natürlich. Trotzdem kann man denjenigen Menschen, die das Bedürfnis nach Verkörperung, Renaturierung und Eingebettetsein in das Ganze verspüren (obwohl sie es kaum so nennen werden) die Gelegenheit geben, dies richtig zu tun, statt sich aus Unwissenheit oder tatsächlich mangelnden Alternativen nur Wellness-Pflästerchen zu holen. 

Nicht durch eilen kommen wir an, sondern durch verweilen

Was die vom westlichen Mythos durchdrungenen Kulturen unbedingt machen müssen, ist zu lernen, die Natur nicht zu zerstören. Auch dies wird nicht nur durch fortgeschrittene Technologie geschehen, sondern durch einen Bewusstseinswandel, ein Anfreunden mit dem Planeten-Körper. Grundlage dazu ist das Bewusstsein von Vernetzung und als nächste Stufe von einer Gesamtbewegung, in welcher nichts isoliert werden kann. Die große Aufgabe ist die Wieder-Verkörperung des Westens, der, so materiell ausgerichtet er auch ist, die Materie als seinem überlegenem Geist unterworfen ansieht. Dies ist der westliche destruktive Mythos. (Mehr zur Wieder-Verkörperung in Das Buch der Bewegung, S. 333, 348-50, 353)


Die höchste Integrationsstufe

Verkörpern ist die höchste Integrationsstufe integraler Bewegung. Ich möchte sogar die Behauptung aufstellen, dass es die höchste Integrationsstufe überhaupt ist. Verkörpern hört nicht an der Hautoberfläche auf, da der Körper interagiert (und, wie wir gleich sehen werden feinstofflichere Aspekte auch nicht bei der Haut aufhören). Er ist eingebettet, er wird gestaltet und er gestaltet mit, und zwar den ganz normalen Alltag, die unmittelbare Mitwelt. Mit der Verkörperung als höchster Integrationsstufe geht integrale Bewegung einen entgegengesetzten Weg zu den meisten spirituellen Befreiungswegen, etwa dem Yoga und allgemein des Hinduismus, des Buddhismus, des Islam oder einer Version des Christentums, die auf eine Zeit im Himmel ausgerichtet ist. Integrale Bewegung geht diesen entgegengesetzten Weg, weil sie nicht auf metaphysischen Modellen und Konzepten oder destruktiven Mythen basiert, sondern auf der simplen und direkt erfahrbaren Tatsache der Ungetrenntheit. Eine simple Tatsache, weil wir sie sogar in der Tagesschau, in den Börsenberichten, im Wetterbericht sehen. Ungetrenntheit ist nun mal ungetrennt, es gibt sie nicht in Rationen, in Teilstücken. Lässt man diese Ungetrenntheit das eigene Wesen ganz durchwirken, fallen alle fragmentierenden Konzepte weg, und damit fragmentierendes Handeln.

Ich kann nur erkennen, wenn ich mich erkennen lasse

In integraler Bewegung können wir diese Ungetrenntheit exemplarisch mit der Erfahrung funktionaler, ungetrennter Ganzkörper-Bewegung erarbeiten, wozu auch schon die Wahrnehmung geschult wird, und wodurch Wahrnehmung und Körper für sich und als Ungetrenntes kultiviert werden. Exemplarisch in dem Sinn, dass wir ein direktes Erleben haben können. Exemplarisch aber nicht in dem Sinn, dass diese Erfahrung dann auf andere Gebiete oder Aspekte transferiert werden müsste. Denn ungetrennt ist ungetrennt. Unmittelbar und ungetrennt ist so der ganze Mensch in Bewegung. Es geht gar nicht anders. Es ist unausweichlich. Für diejenigen, die sich darauf einlassen. 

Interpretation und Integration

«Integration» ist also in keiner Weise eine alleinige Angelegenheit eines getrennten Aspekts, etwa des Verstandes, des «mind». Jedes der zehn Verben der Integraldynamik ist ein*e Lehrer*in, ist Impuls, und ist Perspektive, aus welcher wir die Gesamtbewegung betrachten. Wir setzen Schwerpunkte, ohne zu isolieren. Das setzt RIVERS ganz konkret methodisch um. Wir differenzieren immer in einem integrativen Kontext, ohne zu fragmentieren und zu dissoziieren. Diese Verben werden dann auch zur Interpretationsgrundlage. Anders als bei kategorisierenden Interpretationsmodellen, die letztendlich wieder fragmentieren, indem sie Ungetrenntes, Fluides, in einzelne starre Objekte erhärten, bietet die Integraldynamik als Interpretationsmodell einen vielperspektivischen Raum, in welchem nichts fixiert – eingefroren, könnten wir sagen – wird. Ein Raum, der nicht Subjekt-Objekt-Kategorien aufweist und auf Substantiven beruht, sondern aus Verben besteht. Ein Raum, der Fragen stellt und gleichzeitig immer auf Integration ausgerichtet ist, Integration im Sinne des Freisetzens höherer Ordnungen und des tieferen Miteinanders. Eine Gesamtbewegung. Auch die Intelligenz ist Teil dieser strömenden Gesamtbewegung, und Bewusstsein ist Teil dieser strömenden Gesamtbewegung.

Nicht jedes Empfinden ist emotional

Keine Supermenschen

Verkörpern als höchste Integrationsstufe erschafft natürlich nicht den Supermenschen und die nächste Generation der Selbstdarsteller*innen in «sozialen» Medien. In jedem Alter, in jedem Gesundheitszustand, in jeder geistigen und körperlichen Verfassung können wir verkörpern. Denn immer können wir empfinden: schöpferisch erforschen und erkennen. 


Empfinden und Erkennen

Erkennen ist ein intimer Akt. Ein Dialog. Ich kann nur erkennen, wenn ich mich erkennen lasse. In der Bibel wird «erkennen» als Wort für den intimen sexuellen Akt gebraucht. Erkennen ist empfinden. Der ganze Körper ist das Empfindungsorgan. Das gilt für Propriozeption und Interozeption, also körperbezogene Empfindungen ebenso wie für Empfindungen, die dem psychischen Bereich und noch subtileren Bereichen (etwa der Sehnsucht) zuzuordnen sind. Das Beispiel der Propriozeption, die Wahrnehmung des Körpers in Bezug zur Lage im Raum, zeigt uns aber, dass mit «empfinden» weit mehr gemeint ist als «Gefühle fühlen» und «Emotionen zulassen». Nicht jedes Empfinden ist emotional. Empfinden ist eine Form von Information. Ein absolut wichtiges Empfindungsorgan ist denn auch das Fasziensystem. Arbeit mit den Faszien ist nicht nur Arbeit an Funktionalität und Haltung, sondern Arbeit mit der Eigenwahrnehmung. Eben erst beginnt man, die wichtige Rolle der Faszien in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Ein anderes Empfindungsorgan ist dagegen längst bekannt.
Während die vedische Tradition z.B. die sieben Chakren als Empfindungsorgane beschreibt, ist das zentrale Empfindungsorgan (auch im Chakrasystem) das Herz. Viele Traditionen anerkennen und kultivieren das Herz als Erkenntnisorgan (siehe dazu auch Reise zum Unmöglichen, S. 138, 290-94, 394-97). Das Erkenntnisorgan des Westens ist dagegen das Gehirn, und auch hier eigentlich nur die rationale Hirnhälfte. Hier zeigt sich wieder der fragmentierende Mythos, und es ist bezeichnend, dass dieses bevorzugte Organ an sich nicht spürbar ist und kein Schmerzempfinden hat, wohingegen das Herz ein außerordentlich großes und intensives Empfindungsspektrum aufweist und ein vielfach stärkeres elektromagnetisches Feld hat als das Gehirn, und welches sich weit über den Körper hinaus erstreckt. Dem westlich konditionierten Menschen klingt «Herz» nach Romantik und Drama, doch die Klarheit des Herz-Geistes ist etwas ganz Anderes. Der monologische westlich konditionierte Mensch muss bereit sein, sich auf einen Dialog einzulassen. Mit dem Herzen, aus dem Herzen, ohne Drama, ohne Zutun. Der Schlüssel dazu ist die Kultivation des Empfindungsraumes. Ich sage absichtlich Empfindungsraum, um diese kultivierte Qualität abzugrenzen vom selbst produzierten Drama, dem uneingeschränkt Ausdruck gegeben wird. So kann ein echter Dialog geschehen. So kann das Ungetrennte erkannt und kultiviert werden. Wenn ich sage, erkennen sei empfinden, ist dies keine Gleichstellung der beiden Verben. Erkennen ist empfinden in diesem Empfindungsraum, der, man mag es sich denken, identisch ist mit dem oben beschriebenen Kultivationsraum. Erkennen ist daher der dialogische Prozess des Empfindens und der Kultivation.

Es ist vielsagend, dass der intime Akt des Empfindens und Erkennens zum Unterscheidungsvermögen führt

Das Empfinden und Erkennen kommt auch in einem der zentralen Gebete des Francesco von Assisi vor: … Gib mir das Empfinden und Erkennen, damit dich Deinen heiligen Auftrag erfülle, den Du mir in Wahrheit gegeben hast. (Schöner und freier übersetzt: … welchen Weg du mit mir in der Tiefe gehen willst.) Im Original, Dammi, Signore, senno e discernimento per compiere la tua vera e santa volontà. Hier sehen wir, dass discernimento mit Erkennen übersetzt wird. (Senno wäre das andere Wort, dem sich zu folgen lohnt. Eine andere Geschichte für ein andermal.) Dies zeigt uns, dass Unterscheidungskraft (ich komme gleich dazu) ein wesentlicher Aspekt des Erkennens ist. Eine Unterscheidungskraft, die mit dem körperlichen Beobachten und Empfinden begonnen werden muss, da sonst die Grundlage fehlt und mannigfaltige und in unserer Zeit ausgeprägte Verwirrungen entstehen (mehr dazu in Die Rhythmen integraler Bewegung, S. 36).


Urteil und Unterscheidung

Was ist discernimento, englisch discernment? Die Übersetzung aus dem Italienischen ist etwa Unterscheidung, aus dem Englischen wird es gerne mit Urteilsvermögen übersetzt. Urteilsvermögen wird einerseits in der alltäglichen Welt hoch geschätzt, andererseits hält sich in «spirituellen» Kreisen immer noch die tiefgrüne Aussage «Man soll ja nicht urteilen, aber…», womit man sich für die darauf folgenden Unterscheidungen entschuldigt, die man macht. Genau die Unterscheidungen, welche diese spirituellen Wege eigentlich kultivieren würden. Nur wird in tiefgrünen Kreisen Urteil und Unterscheidungsvermögen nicht unterschieden (das wäre ja auch ein Widerspruch in sich), und das Fehlen von Unterscheidungskraft ist denn auch ein wesentliches Merkmal dieser Bewusstseinsebene (gerade auch deshalb, weil sie nicht im Körper verankert wird, siehe oben). Demzufolge ist die Förderung von Unterscheidungskraft, von differenzieren und integrieren der Weg über diese Ebene hinaus. Genau das, was viele Wohlfühl-Kursteilnehmer*innen nicht wollen. Doch genug davon. (Du merkst, als Tiefgrüne*r musst du nicht an einem meiner Angebote teilnehmen wollen, ohne dass ich dich wieder und wieder rütteln und schütteln werde. Aber als Tiefgrüne*r wirst du auch nicht bis hierher gelesen haben.)
Beim discernimento des Herzens, welches auch Francesco anspricht, geht es jedoch tatsächlich nicht um das Urteil, sondern um den Prozess des Unterscheidens. Der Prozess ist, das Eine nicht mit dem Vielen zu verwechseln, das Gleiche nicht mit dem Ungleichen. Es geht um diese Klarheit der Wahrnehmung, in welcher sich die «Dinge», welche eher Strömungen sind, Bewegungen, erstens so zeigen können, wie sie sind, und zweitens nicht festgehalten – verdingt – werden (siehe dazu auch buddhi im Yoga, dazu Reise zum Unmöglichen S. 349-50, 403-4). Empfinden und erkennen müssen ein einziger Prozess sein, dann sind sie nicht fragmentiert.

Es ist vielsagend, dass der intime Akt des Empfindens und Erkennens zum Unterscheidungsvermögen führt. In diesem Kontext ist die Scheidung keine Trennung und Dissoziation, sondern der Akt der Integration, in welchem integriert wird, weil nichts weggenommen oder hinzugefügt wird und so alle Strömungen ihren Platz in der großen Gesamtbewegung einnehmen können. Und in diesem Kontext wird nochmals klarer, dass die Kultivation eines Empfindungsraumes weit mehr ist, als «sich zu spüren».


Drei Hülsen

Bewegungsintelligenz, Körperweisheit, Körperwissen. Dies sind Worthülsen, die gerne herumgereicht werden, und auf die ich abschließend noch sehr kurz eingehen möchte, da es sich anbietet, beziehungsweise weil es sich mir aufdrängt. Ich bin immer noch kein Neurologe, immer noch spreche ich als Praktiker. Auf der Grundlage des vorher Gesagten ist sind die folgenden Definitionen folgerichtig. Das heißt nicht, dass es text-und damit kontext-unabhängige Wahrheiten sind, die man so in Stein meißeln sollte. Aber sie bieten sich an zur eigenen Erforschung. Immer geht es darum, dass die Worte zur Praxis anregen sollen. 

Bewegungsintelligenz. Sofort fragen wir: Was ist das? Und implizieren, es sei etwas. So funktionieren wir und unsere Sprache. 
Damit impliziere ich natürlich, dass Bewegungsintelligenz kein Etwas ist. Was dann? Haha! 

Jetzt aber im Ernst. 

Intelligenz ist die Interaktion. Nicht in der Interaktion zeigt sich die Intelligenz. Sie ist die Interaktion, die Inter-Aktion. Wieder, auch hier, sie ist dazwischen und sie ist eine Bewegung dazwischen – zwischen zwei Bewegungen. Intelligenz ist Bewegung. Intelligenz ist die Interaktion von zwei Verben. Sie ist die Interaktion der Rhythmen 5 und 6, also der Köbi- und der Kultivationsdynamik. Sie ist die Interaktion zwischen dieser integraldynamischen Beziehung und den anderen Rhythmen (2, 3,1, siehe Die Rhythmen integraler Bewegung). Sie ist die Interaktion zwischen all diesen Rhythmen, die miteinander interagieren, und den Räumen (4, 7, ebd.). Sie ist die Interaktion all dessen mit dem Körper und dem Menschen als ungeteiltes (also ein physisches, psychisches, seelisches, geistiges, wahrnehmendes, interagierendes, soziales etc.) Wesen. Sie ist die Interaktion mit der Mitwelt. Dies alles ist kein linearer Prozess, sondern ein Gesamtprozess, eine Gesamtbewegung. Je kohärenter der Prozess, desto größer die Intelligenz. 

Auf die Weisheit bin ich schon unter «Worte zum Vergessen» zu sprechen gekommen. Die Weisheit ist die Fluidität in der Bewegung. Sie ist die Bewegung in der Bewegung. Ein Mensch ist weise, handelt weise, bewegt sich weise, wenn er sich aus dieser Bewegung heraus bewegt, die kein Meta-Konstrukt oder eine Idee ist, sondern die fließende Fülle des Raumes, von welchem er nicht getrennt ist. Durch kultivierende Bewegung schöpft man immer mehr aus der fließenden Fülle des Raumes. Dieser Prozess braucht Zeit. Darum entsteht Weisheit mit der Erfahrung, mit der kontinuierlichen Praxis (und nicht einfach mit dem Erlebnis).

Das Körperwissen ist die Manifestation des intuitiven Handelns, das unbewusst generiert wird. Körperwissen ist eigentlich der abstrahierte Begriff von «verkörpern». Dieses Wissen zeigt sich empfindend und handelnd. Womit wir wieder beim Anfang sind. Das ist immer ein guter Schluss. Alles ist Bewegung, ist Ausfalten und Einfalten. 

Wenn man das alles nun nicht als Fakten hinnimmt, sondern als Forscher-Impulse (denn als stehende Fakten stünde es im Widerspruch zu sich selbst – hm, kann man diese Aussage so stehen lassen?), was für eine Bewegungsqualität kann sich dann zu entfalten beginnen?

 

 
 
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Ich, Bewusstsein, Spiritualität