Kultivieren oder optimieren?

 
 

Vorbemerkung: Kultivation und Kultivierung sind die zusammenfassenden Begriffe für eine zentrale Dynamik in der Integraldynamik und in integraler Bewegung. Die Dynamik besteht aus sechs Handlungsimpulsen, die eine Gesamtdynamik bilden: beobachten und empfinden, differenzieren und integrieren, subtilisieren und verwesentlichen. Viele Informationen dazu findest du in Integraldynamik (S. 45-48) und im Buch der Bewegung (S. 83-102). Die Details musst du jedoch nicht kennen, um einen Nutzen aus folgender Gegenüberstellung ziehen zu können.

 

 

Produkte und Selfies

Man kann Geräte optimieren, wie es die großen Geräte-Hersteller tun und jedes Jahr eine optimierte Version eines Produkts produzieren. Der Irrtum unserer Zeit ist, dass man Menschen ebenso optimieren kann.

Produktion bezieht sich auf das Herstellen. «Produzieren» bedeutet auch «darstellen». Optimierung stellt nicht nur her, sondern sie stellt das Produzierte auch dar. Das ist untrennbar verknüpft. Optimierung führt zum Selfie, zur Selbstdarstellung und zum Spektakel. Darum sind die «sozialen» Netzwerke Treiber der Optimierung.

Die Selbstdarstellung ist der Kultivation fremd. Kultivation stellt sich nicht nur nicht dar. Der Kultivationsprozess führt hin zur Unscheinbarkeit und zum Verschwinden der Person. Es verschwindet der Künstler im Werk, die Tänzerin in der Bewegung, selbst und gerade wenn diese Werke zutiefst persönlich und vom eigenen Menschsein geprägt sind.

 

«Kultivierung eignet sich nicht für Werbung, da sie nicht herstellt und nicht darstellt»

 

Zum Beispiel Instagram: ein Tummelplatz der Extreme und der Selfies. Und Katzen.

Die «sozialen» Netzwerke sind der Tod der Kultivierung. Die Kultivation findet in diesen Darstellungs-Plattformen kein Zuhause, so wie große Werke in diesen Formaten nicht die richtige Plattform finden. Denn diese Netzwerke werden dahingehend optimiert, dass möglichst viele Inhalte konsumiert werden. Optimierung führt nicht nur zu Produktion und Darstellung, sondern zum Konsum. Kultivierung hingegen führt zur Kontemplation, zur tief gehenden Betrachtung. In der kontemplativen Betrachtung bringt sich die Betrachterin zwar ein. Sie stellt sich aber nicht dar, sondern nimmt sich zurück. Dadurch können sich die Grenzen von betrachten, Betrachter und Betrachtetem auflösen. Diese Zurücknahme geschieht auf beiden Seiten. Das Betrachtete muss in sich ebenso die Qualität der Zurücknahme besitzen. Deshalb ist die optimierte Selbstdarstellung nicht zur eingehenden und tiefgehenden Betrachtung geeignet.

Konsum und Kontemplation

Die Qualität der Zurücknahme zeigt sich sowohl in bedeutenden kulturellen Werken, als auch in der Natur. Natur stellt sich nicht selbst dar. So wie die tiefe Betrachtung Dauer voraussetzt, fördert Kultivation das Dauerhafte. Optimierung erzeugt einen Moment. Dieser Moment wird dann aufgeblasen. Das Vergehen des Moments wird so gut wie möglich kaschiert, etwa mit Kosmetikprodukten, die ein junges Aussehen geben sollen, oder mit immer neuen Selbstdarstellungen.

Das Optimierte eignet sich für Werbung, denn Werbung ist Darstellung. Kultivierung eignet sich nicht für Werbung, da sie nicht herstellt und nicht darstellt. Dieser Umstand stellt ein Problem dar, wenn Kultivation unter die Leute gebracht werden soll. Die Lösung ist, sie nicht unter die Leute zu bringen, sondern ihre natürliche Entwicklung zu fördern. Etwa durch Sichtbarkeit auf entsprechenden Portalen wie diesem Log.

Wenn die Optimierung die gegenwärtige Kultur ist, dann ist die Kultivation die Gegen-Kultur. Es ist ein Widerspruch, dass Kultivation nicht Kultur, sondern nur Gegenkultur erzeugen soll. Damit stellt sich die Frage des Kulturbegriffs, denn Kultivation erschafft Kultur. Kultur ist kein singuläres Etwas, sondern ein vielschichtiges, komplexes Ganzes. Optimierung ist nicht Kultur, sondern ein kleiner Teil der Kultur, der in unserer Zeit überhand nimmt und andere Aspekte der Kultur verdrängt. Optimierung spezialisiert. Sie benötigt und erschafft Spezialisten. Im Bereich des Menschen sind diese Spezialisten Coaches. Dass Optimierung ein Aufgeblähtes ist, zeigt sich auch an den vielen Schein-Coaches, die zwar vorgeben, Spezialisten zu sein, aber keine Spezialisten sind, oder an den vielen Youtube-Influencern, die sich als Spezialisten darstellen.

Ein Aspekt der Kultivation ist Differenzierung und Integration. Diese zwei kommen immer in Paaren. Eine besondere Verbindung besteht zudem zwischen dem Expandieren und dem Differenzieren. Solche Dynamiken verhindern nicht nur Extreme, sondern auch die einseitige Spezialisierung. Kultivation differenziert und integriert. Kultivation erschafft Generalisten.

 

«Kultur ist direkter Ausdruck des Unbewussten»

 

 

Unfassbare Kraft Und Wachsamkeit

Auch eine bedeutende Künstlerin ist eine Generalistin. Denn sie kann nicht nur Töne setzen und Klänge erzeugen oder Farben mischen und Formen malen. Künstler bringen ihr Menschsein in ihr Handwerk und ihr Medium, obwohl sie handwerklich Spezialisten sind. Daher sind sie vielschichtig, vielseitig und komplex. Viele Nobelpreisträger der Wissenschaft sind nicht nur Forscher, sondern widmen sich auch der Musik, der Literatur, der Bewegung (siehe Adam Grant, Originals). Nur ein weltoffener Mensch kann Welt gestalten, selbst wenn dieser Mensch vielleicht ein zurückgezogenes Leben führt. Denn auch Innenwelt ist Welt.

Die Optimierung, namentlich die Selbst-Optimierung, gibt zwar vor, sich um die Innenwelt zu kümmern. Doch Innenwelt ist letztlich zum größten Teil das unerforschte Land des Unbewussten. Das Unbewusste kann nicht optimiert werden. Unter der leeren Worthülse von «Bewusstsein» und «bewusst machen» laufen denn auch sehr viele Optimierungs-Angebote.

 

«Kultur und Natur sind keine Gegenbegriffe»

 

Das Unbewusste ist unermesslicher Quell und unfassbare Kraft. Hieraus schöpft die Kultivation, hieraus entsteht sie, hieraus sprudelt sie. Da sie unfassbar ist, weitet sie das Gefäß unentwegt. Kultur ist direkter Ausdruck des Unbewussten. Bewusstsein ist nur ein Teil davon.*

 

Extreme und Kontinuität

Kultivation erzeugt keine Extreme. Der Kultivationsprozess hält sich selbst und das, was er kultiviert, in einem sinnvollen Gleichgewicht. Durchaus kann es auch mal extreme Situationen geben. Ein simples physisches Beispiel ist, dass es sinnvoll ist, das Herz für eine kurze Zeit auf einen hohen Leistungspegel zu treiben. Doch Kultivation malt ein großes Bild, und dieses ist nicht extrem. Der Kultivationsprozess ist eine Ressource. Obwohl oder dadurch, dass der Kultvationsprozess immer weiter geht, kann er keine Extreme produzieren.

Natürlich sind auch Extreme Ausdruck eines kontinuierlichen Wandels, so wie es auch Wetterextreme gibt. Sie zeigen sich darin, dass das eine Extrem ins andere kippt. Sowohl Optimierung als auch Kultivation sind Teil des kontinuierlichen Wandels. Kontinuität ist eine Qualität der Kultivierung.

 

 

Natur und Kultur

Kultivation fördert das Selbstverständliche, das Natürliche. Optimierung erschafft das Spektakel. Dem Natürlichen sind wir schon bei der Zurücknahme begegnet. Kultur und Natur sind keine Gegenbegriffe. Optimierung und Natur sind Gegenbegriffe. Optimierung und Adaption als wesentliches Element natürlicher Entwicklung sind nicht dasselbe. Adaption ist Teil des Kultivationsprozesses. Der Kultivationsprozess kultiviert das Natürliche, die Optimierung das Unnatürliche, etwa die Illusion ewiger Jugend oder ein High-Tech-Gerät. «Das Unnatürliche» ist jedoch ein schwieriger Begriff, denn letztendlich ist auch das Unnatürliche eine Erscheinungsform des Natürlichen**, so wie das Extrem eine Erscheinungsform des Kultivationsprozesses sein kann, obwohl der Prozess an sich nicht in Extreme führt. «Das Unnatürliche» ist temporär natürlich. Problematisch wird es, wenn es andauernd wird.

Optimierung Und Gewalt

So wie die Kultivierung selbstverständlich ist, so ist sie gewaltfrei. Sie handelt nicht gegen die Natur. In der Tat besteht die Kompetenz des Kultivierens vor allem darin, sich mit der Natur zu bewegen und mit ihr zu ruhen. Dies bezieht sich auf die äußere und auf die innere Natur, denn natürlich sind diese nicht getrennt, und sie sind nicht zwei. Wer kultiviert, ist Natur, denn Kultivation ist natürlich. Es gibt keine äußeren, getrennten Gesetze oder Prinzipien. Die Prinzipien sind Inschriften, keine Vorschriften. Optimierung hingegen schreibt vor, wie etwas zu tun ist.

«Diäten sind Gewalt»

Kultivation fördert das von selbst Seiende und das sich aus sich selbst heraus Entwickelnde. Optimierung forciert das, was von sich aus nicht sein kann und auch nicht werden will. Kultivierung geschieht gewaltfrei; mit der Natur, nicht gegen sie. Optimierung setzt gerne Gewalt ein.

Diese Gewalt muss nicht unbedingt explizit sein, und sie muss nicht sofort zerstörerisch sein. Es gibt auch Langzeitwirkungen niederschwelliger Gewalt. Den Körper zu Bewegung zu zwingen, etwa durch Trainingspläne, ist Gewalt. Diäten sind Gewalt. Sich nach Massstäben zu richten, die nicht natürlich sind, ist Gewalt. Schönheitsoperationen sind Gewalt.

Die Gewalt ist in der Optimierung implizit vorhanden und kann so auch subtil wirken. Sie wirkt dann durch Unwissenheit. So praktizieren zum Beispiel viele heute Praktizierende Yoga nicht gewaltfrei, obwohl Gewaltfreiheit, ahimsa, ein wichtiger Aspekt des Yoga ist. Nicht der Prozess des Zentrierens, Öffnens, Ausdehnens, Freilegens und Integrierens steht bei den Unwissenden im Vordergrund, sondern eine Endposition. Man zwängt sich in diese Position. Man zwingt den Körper in diese Position. In dieser Optimierung sind Körper und Geist getrennt, und der Körper muss sich fügen. Die Optimierung entspringt diesem – unsere Kultur definierenden – Körper-Geist-Dualismus und fördert ihn aktiv. In der Kultivation ist diese Trennung schlicht nicht möglich.

Optimierung optimiert das Objekt. Kultivierung kultiviert das Subjekt. Das bedeutet nicht, dass Optimierung objektiv, also gerechtfertigt oder rational, und Kultivierung subjektiv, also eine private, beliebige Angelegenheit wäre. Solche Wertungen lassen sich nicht auf diese Begriffe anwenden.

 

 

Ein Beispiel für Monokultur auf Instagram, innerhalb einer Minute zusammengestellt. Gegenwärtig (März 2021) gibt es auf Instagram 93.2 Millionen Bilder zu #yoga.

Differenz und Diversität

Optimierung fördert Differenz, Kultivierung fördert Diversität. Die Differenzen sehen wir überall, wo wir Optimierung sehen. Da ist als Erstes die Differenz zwischen dem offensichtlich Optimalen und dem offensichtlich nicht Optimalen, etwa dem optimalen Körper und dem nicht optimalen Körper. Die Differenzen sehen wir in den Sportresultaten und in den verschiedenen Produkten, die Hergestellt werden. Die Optimierung lebt von dieser Differenz. Die Differenz ist der Motor der Optimierung. Sie führt aber nicht in Diversität, sondern in Monokultur. Denn die Differenz führt nicht zum Differenzieren, sondern strebt der Gleichheit zu. Optimierung strebt nach einem Ideal. Kultivierung strebt nirgendwo hin und hat keine Ideale, selbst die Integration ist nicht das Ziel. Denn Integration ist dynamischer Teil einer fortwährenden Gesamtdynamik und kann daher nicht Ziel sein. Integration ist nicht Gleichheit oder Harmonie, sondern das kontinuierliche Entfalten höherer, tieferer, umfassenderer Räume, in denen man sich frei bewegen kann.

«Optimierung braucht den Vergleich, um überhaupt existieren zu können»

Die Diversität, welche Kultivierung fördert, ist einerseits wieder etwas ganz Natürliches, andererseits das Merkmal einer gesunden Kultur. Natur ist divers, und der Mensch, der durch Optimierung die Diversität der Natur dezimiert, ist dringend aufgefordert, sie sich wieder entfalten zu lassen. Hier sehen wir auch, dass Landschafts-«Kultivierung» in der Wahrheit eine Optimierung ist. Sie zerstört die Diversität. Die Monokultur ist das Resultat der Optimierung. Diese sehen wir auch in den Körperidealen und den Selbstdarstellungen, die sich alle gleichen wie ein Ei dem anderen.
Diversität ist ebenso der Schlüssel für gesunde Kulturen. Diktaturen sind Optimierungsversuche, die letztlich Kulturen und damit sich selbst zerstören.

Bewegungskultur Und Trainingspläne

Dasselbe gilt natürlich für eine Bewegungskulturlandschaft. Bewegungskultur ist per se divers, sie kann kein Monopol sein, und ihr Motor kann nicht Optimierung sein.

Wer optimiert, trainiert. Daher sind Motivation, Trainingspläne, Wettkämpfe und das Vergleichen große Themen – und Stolpersteine. Daniel E. Lieberman zeigt in seinem Buch Exercised auf, dass fehlende Motivation fürs Training in uns evolutionär eingeschrieben ist. Keine Lust zu lesen? Dieses Video gibt ganz kurz und klar den Inhalt wieder. Man muss schon auf einer großen Optimierungswelle reiten, um in vielerlei Hinsicht gegen die eigene Natur zu arbeiten.

«Kultivierung ist jederzeit in sich ganz»

Wer kultiviert, bewegt sich nicht für ein Resultat, sondern aus Bewegungsfreude der Bewegung und der Wahrnehmung wegen. Verkörperung, Handeln, Bewegung und Wahrnehmung bilden eine sich selbst erschaffende – autopoietische– Dynamik. Kultivierung entsteht aus sich selbst heraus, bewegt sich aus sich selbst heraus. Während Optimierung vergleicht, folgt Kultivierung einfach natürlichen Impulsen. Es gibt keinen Vergleich und damit kein Müssen und Sollen. Optimierung braucht den Vergleich, um überhaupt existieren zu können. Optimierung nimmt das Selbst nur in Relation zu einem bestehenden Ideal wahr. Kultivierung nimmt das werdende Selbst unmittelbar wahr. Kultivierung ist jederzeit in sich ganz. Sie ist dialogisch, wogegen der Vergleich ein bloßes Auswerten von Daten ist.

Da man nicht trainiert, wenn man kultiviert, sind Themen wie Motivation, Trainingspläne und Wettkämpfe schlicht keine Themen in integraler Bewegung.

Sport und SpiriTuelles

Es ist nicht so, dass Sport generell optimiert und Bewegungstraditionen kultivieren. Man kann Sport kultivierend treiben. Treiben bedeutet einerseits forcieren. Andererseits kommt es vom Trieb, und der Trieb ist ein natürlicher Impuls aus dem Organismus.

«Die Reprogrammierung bedingt eine körperzentrierte Praxis»

Man kann sich in Bewegungstraditionen optimieren. Dies gilt nicht nur für die Wellness-Auswüchse unserer Zeit, sondern auch für die Traditionen an sich. Im Taiji ging es darum, zu gewinnen. Schließlich ist es eine Kampfkunst. In gewissen daoistischen Strömungen und damit in gewissen Qigong-Schulen ging und geht es darum, Unsterblichkeit zu erlangen, in anderen, eine soziale Ordnung zu gewährleisten. Yoga ist ein Befreiungsweg aus dem Kreislauf der Reinkarnation. Dies sind alles endliche Settings mit konkreten Zielen, auf die man hinstrebt. Dieses Streben nennen wir trainieren. Auch wenn Elemente der Kultivation in einzelnen Traditionen vorhanden sind, heißt das also nicht, dass sie selbstverständlich reine Kultivationswege sind (siehe dazu auch Infinity Games). Die Bewegungstraditionen eignen sich natürlich bestens, um zu kultivieren. Ganz natürliche, selbstverständliche, dem Körper eingegebene Bewegung eignet sich jedoch genauso gut; ebenso Systeme und Methoden, die aus und auf diesem Kultivationsboden entstanden sind: integrale Bewegung, RIVERS und die MOVEMENT ADVENTURES. Sie sind direkter und sich stetig wandelnder Ausdruck dieser Kultivationsdynamik ohne ein Ziel des Gewinnens oder der Befreiung oder einer sonstigen Form der Optimierung.

 

 

Unwissenheit und Entscheidung

Die Unwissenheit ist Nährboden für Optimierung. Das Natürliche und das von selbst Seiende zu kultivieren ist also kein Zustand von Naivität, sondern Ausdruck von Bildung und Kompetenz. Zuerst gilt es, Kultivation zu entdecken, und sie wird durch das Natürliche entdeckt, durch das, was von selbst ist: durch den Körper und die Wahrnehmung als ein funktionales Ganzes. Ist sie entdeckt, nimmt der Kultivationsprozess eine Eigendynamik auf. Natürlich entwickelt man in dieser Dynamik Kompetenzen, welche die Dynamik fördern. Kultivation ist kein Selbstläufer, sondern braucht Engagement und Hingabe. Diese Eigendynamik, so natürlich sie ist, wird durch die Dominanz der Optimierung immer wieder sabotiert. Daher stellt unsere Zeit eine besondere Herausforderung an die Kultivierenden dar. Kultivierung ist zwar eigentlich nicht optional und in unserer Zeit der menschengemachten klimatischen Veränderungen wahrlich keine Option. Doch da sie unablässig von einer Flut von Optimierungs-Bildern und -Suggestionen attackiert wird, und wir schon früh auf Optimierung getrimmt wurden und daher unser Nervensystem darauf programmiert ist, ist Kultivierung immer wieder eine Rückbesinnung und Entscheidung. Die Reprogrammierung bedingt dann auch eine körperzentrierte Praxis, die das gesamte Nervensystem einbezieht. Der Vorgang der bewussten Rückkehr, das Entlinken und neu Verlkinken an sich, ist natürlich auch Teil des Kultivationsprozesses, des Differenzierens und Verwesentlichens.

Es wird nicht einfach die Spezialisierung sein, die die Welt wieder in geordnete Bahnen bringt, obwohl das im technischen Bereich sicher der entscheidende Faktor sein wird. Noch mehr aber ist eine grundlegende Wiederherstellung des differenzierbaren Ungetrennten wichtig, konkret: die Überwindung des menschengemachten Körper-Geist-Dualismus. Integraldynamik, integrale Bewegung, RIVERS und die MOVEMENT ADVENTURES sind Vorschläge dafür.


*Da dies eine große Aussage ist, hier einige Fakten dazu: Achtsamkeit und Wachsamkeit sind wichtige, den Traditionen entlehnte Begriffe in der gegenwärtigen Optimierungs-Welle. Die Schlafforschung zeichnet ein ganz anderes Bild: Kreativität, Vernetzung, Assoziation und Integration geschehen vor allem in der REM-Phase des Schlafs. Die REM-Phase ist die Traumphase. Träume sind Produkte des Unbewussten. Die REM-Phase ist das Tor zum Unbewussten. (Und ohne weitere Hinweise, aber einem wichtigen Link, muss hier einfach C.G. Jung erwähnt werden.) Einige Beispiele dafür, dass das Unbewusste tatsächlich kulturgestaltend ist: Dmitri Mendelejew war 50 Jahre lang auf der Suche nach einem Zusammenhang zwischen den Atommassen und den chemischen Eigenschaften der chemischen Elemente. Die Lösung träumte er schließlich: das Periodensystem der Elemente. Thomas Edison entwickelte eine Technik, um sich aus der REM-Phase aufzuwecken, um anschließend seine brillanten Ideen aufzuschreiben. Er nannte dies «genius gap». Paul McCartney träumte die Melodie des Songs «Yesterday» und schrieb sie dann sofort auf. Ich selbst nutze andere Zustände und den REM-Schlaf auch gezielt, um kreative Ideen, Musik, Gedanken und Lösungen zu generieren, die im normalen Wachbewusstsein nie möglich wären (ein Beispiel dafür in Reise zum Unmöglichen, S. 435-58). Zudem sind auch meine Bewegungspraxis und mein Notizblock untrennbare Gesellen. In der Bewegung entstehen durch den ganzen Körper in anderen Zuständen Dinge, die ich mir nie ausdenken könnte. Alles, was ich schreibe, entsteht aus Bewegung. Und dieser Text ist zu einem großen Teil in der Nacht zwischen zwei Schlafphasen entstanden. Na dann, gute Nacht.

**Als Beispiel enthält ein Smartphone Kupfer, Eisen, Aluminium, Zinn, Glas – z.B. Quarzsand, Kalk und Soda – und Keramik – etwa Kaolin, Quarz, Feldspat oder Ton –, weiter seltene Metalle und seltene Erden. Der Kunststoff besteht aus Cellulose, Kohle, Erdgas, Salz, Erdöl. Alles natürliche Stoffe, natürlich.


 
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