Bewegte Geschichten #2 | Himmlisch!

 
 

Bild: Yuri Schmid

Kein Scherz: «Grraan daan into se höör.»

Sagte sie.

Das R rollte wie bei einer Französin. Das französisch rollende R war bei ihr an der richtigen Adresse, denn sie war Französin. Claudine. Die Dame war klein und rund und trug gerne einen schwarzen Mantel mit tausend Taschen, der sie dann zur kleinen, runden, wandelnden Säule machte. Und zu einem wandelnden Labyrinth. Wenn irgendwo darin ihr Telefon klingelte, fand sie es jeweils nicht rechtzeitig.

«Höör?»
«Höör.»
«Ah, earth.»
«Yes, höör.»

Sie unterrichtete Qigong in Englisch, grraan daan into se höör, verwurzle dich in die Erde hinein, Erde, höör. Sie war eine sensitive Persönlichkeit. Einmal kam sie zu mir, berührte mich, und riss sofort Augen und Mund in Glückseligkeit auf. «Du ju iir it?», hörst du es?, «what?», «se celestial musique! When I touch ju, I iir it!»

Ach, die himmlische Musik. Eigentlich immer, ja. Als komponierender Mensch bin ich an das Feld der Musik angeschlossen, wie ein Gerät mit WLAN. Aber ich bin mehr Empfänger als Dauer-Hörer, regulieren ist förderlich, mein inneres Musik-Programm ist nicht immer geöffnet.

«Organ musique!», hauchte sie, mich immer noch berührend, mit weiten Augen in andere Dimensionen starrend.
«Meinst du Organ-Musik, wie die Heilenden Laute der Chinesen, oder Orgel-Musik, wie die Heiligen Laute der Kirche?»
«Organ, like se church», wie die Kirche, «of course.»

Natürlich.

Bis anhin hatte ich mir nicht gedacht, dass ich wie eine Kirchen-Orgel klang. Aber es war ja auch nicht wirklich ich. Ich war nur der Transmitter, der Kanal. In der Mitte zwischen der unhörbaren Musik und der kleinen Dame, die, ihrem Naturell gemäß, ihre eigene Version davon hörte.

Bei Gelegenheit sitze ich gerne mit nicht Klavier spielenden Menschen ans Klavier, nicht etwa an die Orgel, und improvisiere mit ihnen. Wenn sie sich einlassen können, wird immer etwas Gutes daraus. Das hatte ich mal eines Abends mit einer älteren amerikanischen Dame, einer Offizierin des US Militärs wohlgemerkt. Am nächsten Morgen kam sie zu mir, verzaubert, und sagte, sie sei nach unserem Klavierspiel noch unter den Sternen gesessen und habe die Musik der Sterne gehört.

Natürlich.

Was war in beiden Fällen passiert? Es ist etwas in Resonanz gekommen. Daraufhin hatte die Energie ihre eigenen Wege gefunden.

Resonanz. Letztlich ist das alles, was es braucht. So schwingen, dass andere ins Schwingen kommen können. Je klarer die Schwingung, desto stärker die Resonanz.

Was ist deine Schwingung?

Hör. Ganz genau.



©Martin Schmid


 
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