Die Erde wird zu einem besseren Ort, weil Bäume gepflanzt werden.

Gerade jetzt werden wir einen Baum genau dort pflanzen, wo du bist. In deinem Garten. Am Strand. In den Wäldern. Auf deinem Balkon. Sogar in deinem Wohnzimmer. Wurzeln schlagen. Präsent sein. Stark sein.

Nun.

Du bist dieser Baum. Es ist nicht schwer. Steh einfach mit mir.

Wir wollen nicht wie eine Säule stehen. Denn unser Körper ist nicht aus Bauklötzen gemacht. Er ist ein lebendiger, dynamischer, ineinander verbundener Organismus. Genau wie ein Baum. Wir wollen stark, aber beweglich stehen, um mit kleinen Veränderungen umgehen zu können, wie der Wind, der kommt und geht. Stark, aber anpassungsfähig, um großen Veränderungen zu begegnen.

Verbinde deine Füße fest mit dem Boden. Lass sie nicht einsinken, aber vor allem: entspanne sie. Lass das Becken ein wenig sinken. Entspanne deinen unteren Rücken. Wenn du weißt wie und Erfahrung hast, aktiviere den Beckenboden. Halte deine Arme locker und leicht gerundet, als würdest du eine große Schüssel halten. Lasse die Schultern auf deinen Hüften ruhen. Die Schulterblätter verschmelzen mit dem Rücken, die Schultern öffnen sich ein wenig vorne. Entspanne dich. Immer: entspannen. Dein Nacken ist die natürliche Verlängerung deines Rückens. Dein Scheitel sehnt sich nach dem Himmel, als würde er wie ein Magnet angezogen, während du wie eine Sanduhr innerlich nach unten sinkst. Oder als ob du unter einem sanften Wasserfall stehen würdest. Oder unter der Dusche. Alles rieselt nach unten. In den Boden. Tief in den Boden hinein.

Entspanne dich. Wieder und wieder. Immer wieder aufs Neue, tiefer, differenzierter.

Dein Körper wird offenbaren, wo er noch angespannt ist. Wo etwas noch nicht in das Gesamtgefüge integriert ist. Du kannst versuchen, in solche engen Räume hinein zu atmen. Stell dir vor, es gibt einen Luftballon, den du mit deinem Einatmen sanft aufbläst. Du kannst innerlich zwischen einem angespannten Bereich und der Gesamtstruktur, die im Großen und Ganzen entspannt ist, hin und her pendeln, egal wo du auf deinem Weg zur integrierten und dynamischen Entspannung stehst. Verschiebe einfach sanft deinen Fokus. Hin und her.

Versuche immer, dich in eine Struktur fallen zu lassen, die dich trägt und aufrichtet. Leide nicht. Sinke, lass dich durch das Loslassen der Spannung öffnen, dehne dich aus, verbinde deine Hände wieder mit deinen Füßen; ein integriertes Ganzes.

Die Chancen stehen gut, dass sich dein Atem vertieft. Lass ihn dich stützen und aufrichten, während du immer weiter nach unten sinkst. Werde leicht. Oberer Teil leicht, unterer Teil schwer.

Entspanne dich.

Ich habe schon viele Bilder verwendet, um einen Ansatz oder eine Qualität zu beschreiben. Der Ballon, die Sanduhr, Wasserfall, Dusche, schmelzende Schulterblätter, der Himmel wie ein Magnet.

Jetzt wollen wir ein allgemeineres Bild einführen. Denn Vorstellungskraft hilft. Vorstellungskraft ist eine Präsenz, welche die Kraft hat, das Verlorene, Vergessene oder Verborgene in uns in eine neue, integrierende Realität zu bringen. Die Kunst der Imagination ist kein Wunschdenken, denn das folgende Bild ist in der Realität verankert. Allerdings geht es bei der Imagination nicht darum, ein fernes Ziel zu erreichen und das Unmögliche möglich zu machen. Es geht darum, das zum Leben zu erwecken, was bereits hier ist.

Das Bild, das ich dir geben möchte, ist also etwas, das bereits hier ist. Wir müssen seine Realität nicht erschaffen. Wir sind eher wie Archäologen, die Schicht um Schicht abtragen, um etwas sichtbar zu machen. Die Schichten, die wir entfernen, sind Muster der Spannung.

Das Bild ist das von schwebenden Knochen. Unsere Knochen sind in unserem faszialen Netz aufgehängt. Das fasziale Netz verbindet alles mit allem in unserem Körper.

Stell dir vor, du bist wie ein Spinnennetz. Darin befinden sich kleine Äste oder Gräser. Wenn der Wind durch das Netz geht, bewegt sich alles.

Unsere inneren Rhythmen sind der Wind, der dich in Mikrobewegungen sanft bewegt. Vibriert, wogt, schaukelt, schwingt. Herz-Kreislauf-System, Atem, Verdauung, Lymphsystem, der craniosacrale Rhythmus. Wir sind Rhythmus. Aber bleibe still, mache keine Bewegungen. Tanze erst einmal nicht. Finde die lebendige, atmende Stille. Für alles gibt es eine Zeit.

Jetzt ist die Zeit, so zu stehen, als hättest du schwebende Knochen. Denn das hast du.

Steh einfach. Die einfache Tatsache, dass du dir einmal am Tag oder einmal in der Woche Zeit nimmst, um einfach zu stehen, wird dich und deinen Lebensrhythmus verändern. So zu stehen, ist vielleicht ein großer Schritt. Es ist nicht etwas mehr auf deiner To-Do-Liste, es ist das Erstellen einer To-Be-Liste. Es ist das Zulassen von «Sein» in dein Leben.

Natürlich könntest du dich auch hinsetzen oder hinlegen. Ja, natürlich. Das Liegen ist das Schwierigste. Denn es ist das Schwierigste, wach zu bleiben, während man ins Unvorstellbare sinkt. Es ist kein Kindergarten, gleichzeitig einzuschlafen und aufzuwachen. Das ist übrigens die ursprüngliche Bedeutung von Shavasana im Yoga, du weißt schon, wo man sich am Ende der Stunde hinlegt. Für viele westliche Praktizierende ist es ein «endlich kann ich alles loslassen» und sie beginnen vielleicht sogar zu schnarchen und nennen es spirituell. Habe ich erlebt. Ehrlich. Ich habe das alles gesehen, ich habe viele Jahre lang Yoga unterrichtet. Aber die eine Sache, die du nicht loslässt, im Gegenteil, du lädst sie in eine heilige Präsenz ein, ist das Gewahrsein.

Zurück zum Stehen. Wenn du in der Natur stehst, hat dies das Potential, dich aus der Landkarte des Verstandes in die tatsächliche Landschaft zu bringen. Du wirst Teil der Landschaft, und die ganze Landschaft offenbart sich als ein lebendiges, verbundenes, atmendes Wesen.

Die Berge summen tief.
Der Wald flüstert.
Das Meer singt.

Ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, was das Stehen sein und werden kann. Aber einige Dinge sind klar. Offensichtliche Potentiale wie Entspannung, Vertiefung des Atems, körperliche Integration. Du lernst, auf deinen Körper zu hören. Und dann lernst du, mit deinem Körper zu hören. Und dort liegen die Tore zu neuer Kraft und Wissen und Klarheit. Die Rastlosen finden diese Tore nie.

Also raste.
Tue weniger.
Sei mehr.

Es ist ein Prozess, ein Weg. Dies ist das große Paradox. Die Tore, deine innere Landschaft, deine Kraft und Stärke, dein Potential – es ist alles hier. Aber es ist die große Reise, um hierher zu kommen. Genau hier, wo du jetzt gerade bist. Du wirst Schmerz empfinden, du wirst Freude empfinden. Du wirst dich langweilen, emotional oder ruhig werden, du wirst dich auflösen und finden.

Dies ist keine Let's-All-Hug-Trees-and-Everything-Will-Be-OK Angelegenheit. Kein Hippie-Whippie-Zeug hier. Du bist der Baum. Ein geerdetes, ruhiges, fühlendes Wesen. Das ist eine ganz andere Geschichte, als mit Diamanten im Himmel zu sein und den Drachen zu puffen. Es ist eine andere Geschichte als eine Massage zu bekommen. Es ist keine Wellness, es ist ein Weg. Aber vielleicht machst du eine Erfahrung, die dich prägt. Und die Art und Weise verändert, wie du bist und wie du handelst. Und damit auch deine Welt. Du veränderst deine Welt. Das ist die Macht, die wir alle haben.

Vielleicht hast du gar keine lebensverändernde Erfahrung. Du bist einfach nur gelangweilt oder genervt. Aber dann merkst du, dass sich in der Zeit nach dem Stehen etwas verändert. Du bist anders, du reagierst anders, du beziehst dich anders, du denkst einen Gedanken, den du noch nie hattest. Erfahrung ist schön, wenn sie zu Veränderung führt. Veränderung ist existenziell, mit oder ohne eine Erfahrung.

Und vielleicht ist der erste Schritt, damit aufzuhören. Aufhören zu tun. Aufhören zu machen. Aufhören zu gehen – irgendwo, irgendwo anders. Fang an zu sein. Fang an zu wachsen.

Es ist eine Übung. Stehe zuerst fünf Minuten. Nach einigen Tagen oder Wochen, zehn. Dann 20, und so weiter. Dann eine Stunde. Beobachte, was passiert. Was sich beim Stehen und im Laufe des Tages (und der Nacht) verändert. Was sich in deinem Leben verändert. Wie du dich zur Natur verhältst. Zu anderen Menschen.

Es ist eine sehr, sehr einfache Praxis. Zu einfach für viele moderne und postmoderne Köpfe. Lass dich nicht von dem Drang täuschen, die Dinge kompliziert zu machen. Hier gibt es keine Tricks. Einfach nur nacktes Sein.

Stehen kann dich anfangs schwindelig machen. Setze dich hin, wenn dir schwindelig wird. Stehe nicht an einem Ort, an dem du fallen kannst. Nicht auf einer Mauer, nicht auf einer Klippe. Geh nicht ins Extreme. Es ist kein Stunt. Es ist keine Show. Manchmal sagt man, wenn man Krampfadern hat, ist Stehen nicht gut. Ich weiß nicht, ob das wahr ist. Ich habe Krampfadern in der Wade seit ich 16 bin und sie haben mich nie gestört. Stehen hat keinen negativen (oder positiven, nehme ich an) Effekt auf sie.

Also stimmt es bei mir nicht. Aber das bin nur ich.

Höre nicht auf mich.

Höre auf deinen Körper.

Ein letzter Gedanke:

Weißt du, wie Bäume miteinander vernetzt sind, miteinander kommunizieren? Ein Wald ist ein einziges großes Netz. So wie wir alle es sind.

Steh mit mir wie ein Baum.
Steh stark.

Sei der Fluss, der wir werden.

 

 
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