Atmen, ahnen, horchen, folgen, handeln

 
 

AAHFH klingt wie eine wirklich wichtige Abkürzung, nicht? Das Praktische an Köbi ist, dass er wirklich nicht wichtig klingt, und man sich ihm daher auch nicht verbissen widmen kann. Er taugt nicht als Guru mit diesem Namen.

«Woran erkennt man das Dao?», ist eine Frage aus dem daoistischen Traditions-Fundus. «Daran, dass man sich darüber lustig macht.»

Köbi? Du findest ihn in all meinen Büchern, vom ersten bis zum letzten. Köbi = COEBI = center, open, expand, blend, integrate. Nein, keine amerikanische Erfindung. Habe ich gefunden. Oder besser: die Dynamik hat mich gefunden. Ich bin ein Findling. In der Schweiz. Darum auch die passende Abkürzung.

Köbi (auch Rhythmus 5 genannt) ist nicht «etwas». Verben sind nicht etwas. Sie sind Dynamiken, Handlungsimpulse, Tendenzen, Wahrscheinlichkeitswolken. Nicht klar gegen andere Verben abgegrenzt, mit vielen Verwandten (mehr zu Verbenfamilien: Die Rhythmen integraler Bewegung S. 39-41, Integraldynamik S. 49.52).

AAHFH? Atmen, ahnen, horchen, folgen, handeln.

AAHFH ist eine Köbi-Variation. Eine kontext-bezogene Ausgestaltung. Eine vielleicht subtilere Ausgestaltung, dadurch aber nicht weniger kraftvoll. Ich vergegenwärtige mir diese Form gerne, wenn es ums Fließen im Leben oder in Lebensphasen geht, um Veränderungen, die im Leben anstehen. Vielleicht ist dir atmen, ahnen, horchen, folgen, handeln auch eine Hilfe?

Atmen

Atmen ist Nummer eins, wenn es ums Zentrieren, Ankommen, Herunterfahren geht.

Obwohl der Atem das absolut zentrale Element in allem ist, was ich tue und sage und schreibe, ist mein Geschreibsel darüber relativ dünn gesäht. Die meisten Worte zum Atem gibt’s in Reise zum Unmöglichen (S. 141-51, 328-38, 418). Richtig formuliert muss ich sagen: Da der Atem das absolut zentrale Element ist, sage ich relativ wenig dazu.

Der Atem ist eine existentielle Freundschaft

Warum? Ich kann darüber ebenso wenig sagen wie über meine absolut zentralen Beziehungen in meinem Leben. Erstens ist es ein Intimes, zweitens ist es ein sich ständig Wandelndes, sich Vertiefendes und Weitendes, und drittens ist es ein Unfassbares, das nur ansatzweise zu verstehen und eigentlich nur in Poesie in Worte zu fassen ist. Und viertens: Er ist ganz natürlich.

Der Atem ist eine existentielle Freundschaft, die jeder und jede selber für sich entdecken kann und muss.

Ein paar Dinge kann ich jedoch sagen: Wenn ich vom Atem rede oder zum Atmen anleite (oder ihn für mich interpretiere), mache ich das in zwei Begriffen: «der Atem» und «die Atembewegung». Denn atmen ist für mich beides, hat eine – entschuldige die Plattitüde – männliche und weibliche Qualität, und durch die Variation mit diesen zwei Begriffen impliziere ich, ohne es (außer jetzt) so zu benennen, dass atmen beides ist: Atmen hat eine Yin- und eine Yang-Qualität, geben und empfangen, aktiv und passiv, und so weiter.

ein Freilegen und Kultivieren von inneren Atemräumen und damit Lebensräumen

Ich empfinde den physischen Atem, die unmittelbaren Bewegungen, ausgelöst durch die Atembewegungen: Zwerchfell, Bauchraum, Rippen, Rücken. Ich empfinde den subtilen Atem, der den ganzen Körper durchströmt, wobei dies nicht einfach «energetisch» ist, sondern vielmehr alle transversal verlaufenden Strukturen (neben Zwerchfell, Beckenboden und zervikothorakalem Diaphragma – beim Schlüsselbein – fasziale Diaphragmen im Fuß, Knie, Kehlkopf, an der Schädelbasis) einbezieht. Dass die Bewegung des Zwerchfells bis in die Fußsohle und bis hinauf in den Schädel spürbar ist, spricht für die Durchlässigkeit des Körpers.

Ich empfinde den kausalen Atem, den Atem, der größer ist als ich, in den ich eingebettet bin, durch den mein erster Atemzug geschah und in den mein letztes Ausatmen münden wird. Spätestens hier versagen die Worte wieder.

Bereit werden für das, was kommt

Jede Bewegung ist Atembewegung. Je mehr ich in den normalen Bewegungs-Tagesablauf eines westlichen Menschen eingebunden bin – etwa durch eine Pandemie, in welcher ich alltäglicheren Abläufen nachgehen muss, um an meine Brötchen zu kommen – desto mehr benötige ich Yoga als Gegenmittel zum Design, in welches mich das Sitzen allmählich – unmerklich zuerst, aber wirkungsvoll – zwängt. Auch in Verbindung mit dynamischeren Bewegungen ist Yoga als Einstieg eine wunderbare Praxis. Yoga ist viel (und viel ist es durch die Beziehung mit dem Atem), zuallererst ist es für mich jedoch ein Freilegen und Kultivieren von inneren Atemräumen und damit Lebensräumen. Räume, die mir das Alltägliche nimmt, wenn ich nicht gezielt eine Gegenbewegung setze.

Ahnen

Zuerst einmal ist interessant, dass «Ahnen» als Substantiv «Vorfahren» bedeutet und damit auf unsere Wurzeln verweist, auf diejenigen, die diesen Weg schon gegangen sind, auf Erfahrungen, die schon gemacht wurden. Ahnen (als Verb, genauer als Zustand) vereint in seiner Gegenwart in diesem Sinn zwei Richtungen: die Vergangenheit und die Zukunft. Denn natürlich ahnen wir ein Kommendes. Ahnen ist ein Empfinden, dass etwas sich nähert, etwas zur Entfaltung drängt, aus dem Unbewussten oder Unmanifestierten emporsteigt. Ahnen als Gesamtheit oder Einheit von Subjekt und Objekt ist jedoch nur halbbewusst. Denn das Objekt, das erahnt wird, kann nicht bewusst sein (und es ist wohl auch noch kein «Objekt»). Ich muss den Elefanten, der mir auf dem Fuß steht, nicht erahnen.

Implizites will sich entfalten

Ahnen ist das Öffnen. Bereit werden für das, was kommt. Das Öffnen mündet schnell einmal ins Ausdehnen. Daher das Ö in Köbi, nicht etwa für das Öffnen stehend, sondern für das oe von open und expand. Das Ahnen mündet schnell einmal ins Horchen. «AH….». Mit dem langen «hhhh» horchen wir.

Horchen

Genau hinhören, auf das fast Unhörbare. Es erhorchen, erlauschen. Hinhören: diese Art von hören, die ein sich Einlassen bedingt. Eine Art von Hören, die Präsenz bedingt. Ein Hören, das Wahrnehmen bedingt, statt nebenbei Akustik oder Empfindungen weitgehend ausgeblendet zu haben. Hinhören ist kultiviertes Hören. Es trägt implizit bereits den Kontakt, die Begegnung, die Beziehung, den Dialog in sich. Auch diese Bewegung führt weiter, denn dieses Implizite will sich entfalten.

Folgen

Aus dem Horchen wird gehorchen. Das ist natürlich ein schwieriger Begriff, denn schnell verbindet man ihn mit Unmündigkeit oder Unterwürfigkeit. Entlinken wir diese Links, die nicht sein müssen. Gehorchen ist das Horchen, das sich manifestiert. Es ist vor allem eine erste Form von Handlung, eine Bewegung. Es ist das Folgen. Interessant, dass wir im Schweizerdeutschen «folgä» für gehorchen benutzen.

Geh deinen Weg konsequent

Folgen ist genau so problematisch verknüpft, und vielleicht folgst du mir trotzdem durch diesen Abschnitt. «Folge mir nach», sagt etwa Jesus, und alles, was Jesus sagt, löst bei vielen Menschen berechtigterweise allergische Reaktionen und heftige Widerstände aus. Nicht darum, weil er dumme Sachen sagte, sondern weil man vieles dumm übersetzt hat, dumme Sachen daraus gemacht hat und dumme Handlungen damit rechtfertigt. Die Nachfolge Jesu bedeutet aber nicht, dass man ihm einfach nachlatscht und ihn imitiert (nicht einmal «imitatio Christi» kann das meinen, aber das ist ein anderes spannendes Kapitel für eine andere Zeit). Jesus lebte ein exemplarisches Leben: er ging ganz konsequent seinen Weg. Er kam dabei an Stationen vorbei, die wir archetypisch nennen können; Stationen, an denen jeder Mensch vorbei kommt, wenn er seinen Weg konsequent geht. «Folge mir nach» bedeutet: «Geh deinen Weg konsequent. Du bist mit dem, was dir widerfahren wird, nicht allein.»

So, der Abschnitt ist fertig, und ich bin immer noch kein Missionar.

Wenn wir ahnen, hören wir das Unhörbare, das jedoch Empfindbare. Nicht unsere physischen Ohren hören, aber wir hören, denn wir haben mehr Hör-Organe als nur die physischen Ohren. Wenn wir horchen, hören wir das fast Unhörbare.

eine Bewegung, die innen und außen, subtil und grobstofflich, Körper und Geist vereint

Wenn wir folgen, folgen wir diesem «Ruf», vielleicht auch nur einem Empfinden, wir nähern uns dem fast Unhörbaren, suchen nach der Quelle, dem Ursprung dieses Signals. Dieses Folgen ist etwas ganz Anderes, als einem Befehl zu folgen. Der Befehl kommt von außen. Unser Signal kommt nicht von innen, nicht von außen, sondern aus dem Gesamten, von da, wo innen und außen nicht getrennt sind. Das kann ich so sagen, weil die Bewegung, die als Folgen resultiert, die innere und die äußere Bewegung vereint. Daher ist ihr Ursprung auch nicht entweder innerlich oder äußerlich. Ich glaube, ein Moment der Besinnung wird dies klar machen, darum lasse ich ellenlange weitere Ausführungen dazu sein.

Dieses Folgen ist nicht nur eine innere Bewegung (eine Versenkung, eine Meditation), sondern auch eine äußere Bewegung. Es ist nicht nur eine äußere Bewegung, denn es ist nicht einfach eine Fortbewegung. Das Folgen ist wie das Pilgern (auch dieses befreit von religiösem mittelaterlichem Ballast): eine Bewegung, die innen und außen, subtil und grobstofflich, Körper und Geist vereint und fortwährend neue Verbindungen und Verknüpfungen schafft.

Handeln

Handeln ist die Integration. Hier zeigt sich ein ganz anderer Aspekt der Integration als der, den wir vielleicht normalerweise mit der Köbi-Integration verbinden. Im Köbi-Ablauf ist die Integration vielmals die Rückkehr, der Raum, in welchem sich die Dinge setzen und verwesentlichen können, am deutlichsten verkörpert im Einfalten einer Bewegung, die sich zuvor ausgefaltet hatte. Es ist ein geschehenlassender Prozess.

mühelos und doch kraftvoll: eine deutliche Wirkkraft gegen außen

Der Integrations-Aspekt des AAHFH ist nun ein ganz anderer: Das Handeln, die Enaktion, die Inter-Aktion mit der Mitwelt, das Mitgestalten dieser Mitwelt. ein nach außen Wirken also. Aber, und das ist wichtig, auch dieses Handeln ist weitgehend geschehen lassend. Denn der springende Punkt an diesem Handeln ist, dass es eingebettet ist in eine Dynamik, die folgerichtig aus sich selbst entsteht. Das Handeln ist daher nicht erzwungen. Es ist eingebettet in einen Gesamtprozess. Es ist nicht willkürlich und es ist nicht impulsiv. Es ist geerdet, kommt aus einem Impuls, der uns gegeben ist (oder zumindest nicht dem Ich-Aspekt entspringt), statt dass das Ich ihn selber produziert, und entfaltet sich folgerichtig. Dadurch ist das Handeln nicht «gemacht», geschweige denn forciert. Die Chance ist groß, dass es relativ leicht ablaufen wird. Das heißt nicht, dass es nicht neue Widerstände von außen geben wird, aber das eigentliche Handeln ist relativ mühelos und doch kraftvoll. Denn wir handeln, wenn das Handeln reif ist. Wir können das als eine Form des beliebten daoistischen Nicht-Handelns sehen (wu wei), welches viel mehr ist, als ein Unterlassen.

Summa

Atmen, ahnen, horchen, folgen, handeln mag als eine von vielen subtilen Ausformungen der Köbi-Dynamik betrachtet werden. Subtiler bedeutet jedoch nicht einfach innerlicher oder kontemplativer. Denn AAHFH findet die Integration im Mitgestalten der Welt, es entfaltet also eine deutliche Wirkkraft gegen außen. Es kann zeigen, wie vielgestaltig Köbi sein kann. Vor allem aber mag es als konkrete Orientierung dienen, das Leben bewusster und müheloser sich entfalten zu lassen.

 

 
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